Liebe Leser:innen,
die Beziehungsperspektive auf Musik, die um die Jahrtausendwende unter anderem durch Christopher Smalls Begriff Musicking angestoßen wurde, hat den musikpädagogischen Diskurs nachhaltig geprägt und jene institutionellen Felder erreicht, in denen sich künstlerisches, pädagogisches und soziales Handeln überschneiden. Ein Zusammenwirken erfordert hier idealerweise ein transdisziplinäres Denken und Handeln, bei dem die verschiedenen Perspektiven aus Musikvermittlung, Musikpädagogik, Musiktherapie und Sozialer Arbeit in einen Dialog treten, um Herausforderungen wie sozialer Ungleichheit, Diversität und Inklusion besser begegnen zu können. In diesem Zusammenspiel gewinnt auch der Diskurs um Community Music an Bedeutung, der musikalisches und soziales Handeln als gleichwertige Dimensionen eines gemeinschaftsstiftenden Prozesses begreift. Offen bleibt jedoch, wie diese Disziplinen einander begegnen und strukturelle Spannungen aushandeln und miteinander gestalten.
Genau auf diese Schnittstellen verweist das vorliegende Heft: Es möchte das ,Dazwischen‘ sichtbar machen – als Raum, in dem ästhetische Erfahrung und soziale Beziehung sich gegenseitig bedingen – und Dimensionen musikalischer Praxis beleuchten, die gesellschaftliche Teilhabe nicht nur thematisieren, sondern tatsächlich ermöglichen. Die versammelten Beiträge beleuchten musikalische Praxis aus musikpädagogischer, sozialarbeiterischer, musiktherapeutischer und Community-Music-Perspektive – im Spannungsfeld zwischen sozialer Verantwortung und künstlerischer Exzellenz. Sie laden dazu ein, Menschen und ihre Lebenswelt in den Mittelpunkt musikalischer Praxis zu rücken – mit dem Ziel, kulturelle Teilhabe zu stärken und die transformatorische Kraft von Musik in sozialen Kontexten sichtbar zu machen.
Die ersten Beiträge des Hefts widmen sich theoretischen und methodischen Überlegungen und Grundlagen. In einem interdisziplinären Dialog zwischen Musikpädagogik und Sozialer Arbeit zeigen Melanie Groß und Annette Ziegenmeyer, wie durch das Zusammenspiel beider Disziplinen nachhaltige Bildungskonzepte entstehen, die Musik als soziale Praxis stärken und insbesondere bildungsbenachteiligten jungen Menschen neue Zugänge eröffnen.
Axel Petri-Preis diskutiert, wie künstlerische Exzellenz und gesellschaftliches Engagement einander in der Musikausbildung wechselseitig befruchten können. Aufbauend auf dem Konzept von Artistic Citizenship plädiert er für eine Neuausrichtung von Musikhochschulen, in der soziale Verantwortung Teil künstlerischer Professionalität wird – durch innovative Curricula, Prüfungsformate und Verankerung in Hochschulstrukturen.
Andreas Heye zeigt, wie musiktherapeutische Konzepte – insbesondere das Mentalisieren als verstehende Beziehungshaltung – musikpädagogische Praxis bereichern können, ohne die Grenzen zwischen Therapie und Pädagogik aufzulösen. Musik erscheint hierbei als Medium sozialer Resonanz, das Beziehungsgestaltung, Empathie und emotionale Entwicklung fördert.
Sara Hubrich entwickelt ein Verständnis von Musik als voraussetzungsoffene, leiblich-kreative und soziale Praxis, in der ästhetische Erfahrung, Beziehungsgestaltung und Selbstwirksamkeit untrennbar verbunden sind. Inspiriert von Christopher Smalls Idee des Musicking versteht sie Musik nicht als vermittelbare Fertigkeit, sondern als gemeinsame, kultursensible und traumasensible Kunst des Handelns.
Die folgenden Beiträge richten den Blick auf den Transfer in die Praxis: Marion Haak-Schulenburg unterstreicht, dass gelingende Community-Music-Arbeit auf bewusster Selbstverortung, biografischer Reflexion und einem sensiblen Umgang mit Machtverhältnissen beruht. Sie zeigt, wie Achtsamkeit gegenüber den Lebensrealitäten der Teilnehmenden verbindende musikalische Begegnungen ermöglicht.
Ulrike Pfeifer stellt das Projekt High Life aus der Drogenhilfe vor, in dem Musikangebote Selbstwirksamkeit, Teilhabe und Resilienz fördern. Ihr Beitrag beschreibt, wie gemeinsames Musizieren Ressourcen aktiviert, Stigmatisierungen abbaut und persönliche Entwicklung in einem wertschätzenden Rahmen stärkt.
Mercé Bosch Sanfélix veranschaulicht mit drei spanischen Initiativen – DaLaNota, Cantatutti und Música en Vena –, wie Musik soziale Teilhabe, Inklusion und Wohlbefinden fördert. Musik wird hier zu einem Medium des Empowerments, das kulturelle Barrieren überwindet und Gemeinschaft stiftet.
Julia Peters und Annette Ziegenmeyer stellen am Beispiel Schleswig-Holsteins und der Weiterbildung Musik in der Sozialen Arbeit/Community Music dar, wie akademische Weiterbildung transdisziplinäres Lernen katalysiert. Exemplarische Praxisprojekte verdeutlichen, wie aus der Verbindung von Theorie, Praxis und gesellschaftlicher Relevanz neue Schnittstellen zwischen Musik, Pädagogik und Sozialer Arbeit entstehen.
Das Heft wird ergänzt zum einen durch einen freien Beitrag von Stefan Zöllner-Dressler zur Reform der Musikaufnahmeprüfungen an den Pädagogischen Hochschulen Baden-Württembergs, der am Beispiel der PH Heidelberg ein beratungsorientiertes Zulassungsmodell vorstellt, das Studierendenvielfalt, Berufsfeldbezug und Reflexionskompetenz stärkt und zu einem erneuerten Verständnis von Musikalität führt.
Hans Bäßler rezensiert die Allgemeine Korrelative Pädagogik von Gaja von Sychowski und Werner Habel als anspruchsvolles Werk, das mit dem Konzept des rhizomorphen Feldes und der Betonung von Performanz innovative pädagogische Wege aufzeigt.
Annette Ziegenmeyer sowie Julia Peters & Andreas Heye
(als Gastmitherausgeber:innen), Rebekka Hüttmann, Oliver Krämer
DMP 108: Musik als soziale Praxis
Musik als soziale Praxis
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Melanie Groß & Annette Ziegenmeyer
Musik als soziale Praxis
Interdisziplinärer Dialog als Fundament für kulturelle Teilhabe im Kindes- und Jugendalter -
Axel Petri-Preis
Künstlerische Exzellenz oder gesellschaftliches Engagement?
Zum Potenzial von Artistic Citizenship für die tertiäre Musikausbildung -
Andreas Heye
Perspektive Musiktherapie
Beziehungsgestaltung und Mentalisieren in musikpädagogischen und musiktherapeutischen Kontexten als kleinster gemeinsamer Nenner -
Sara Hubrich
Musicking und Kulturarbeit
Voraussetzungsoffen in aller Konsequenz -
Marion Haak-Schulenburg
How to connect
Vorschläge für eine verbindende Community Music Praxis -
Ulrike Pfeifer
Das Kulturprojekt „High Life“
Musik in der Drogenhilfe -
Mercé Bosch Sanfélix
Musik in sozialen Handlungsfeldern
Eine explorative Darstellung am Beispiel von drei soziokulturellen Projekten in Spanien -
Julia Peters & Annette Ziegenmeyer
Akademische Weiterbildung als Inkubator für Transdisziplinarität
Exemplarisch dargestellt am Beispiel Schleswig-Holstein
Freie Beiträge
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Stefan Zöllner-Dressler
Ohne Aufnahmeprüfung
Ein Werkstattbericht
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