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Liebe Leser:innen,


das vorliegende Heft greift eine Tradition der DMP auf: In der Vergangenheit waren fünf Hefte der Zeitschrift in ihrem thematischen Teil einem Komponisten bzw. einem einzelnen Musikstück gewidmet, darunter weniger verbreitete Werke (Leonard Bernsteins Divertimento, Heft 53, oder Hanns Eislers Hollywooder Liederbuch, Heft 59), aber auch viel gespielte Stücke (Joseph Haydns Schöpfung, Heft 38) sowie zuletzt im Jahr 2014 ein Komponistenporträt (Isang Yun, Heft 64).
Diese Serie wird nun nach längerer Unterbrechung fortgesetzt mit einem Heft über die Klavieretüden von György Ligeti, der am 28. Mai 2023 seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte. Ligeti gehört zu den bekanntesten Komponisten neuer Musik, insbesondere seine Werke für Chor und für Orchester werden häufig aufgeführt. Auch die – für Ligeti missliebige, da ungefragte – Verwendung seiner Stücke als Soundtrack in Stanley Kubricks monumentalem Film 2001 – Odyssee im Weltraum hat zur Bekanntheit des Komponisten beigetragen.
Im schulischen Musikunterricht gehören mehrere seiner Werke zu den fest etablierten ,Klassikern‘: Bei der Durchsicht von Schulbüchern finden sich vor allem Atmosphères, Lontano und Lux aeterna immer wieder als Beispiele für das Komponieren von neuer Musik mit Klangflächen und Clustern.
Im Kontext des Musikunterrichts weniger geläufig sind die Klavieretüden von Ligeti, die zwischen 1985 und 2001 entstanden und in drei Bänden versammelt sind: 18 hochvirtuose Stücke, die die Grenze des Noch-Spielbaren erkunden, viele davon zugleich quasi Kompositionsstudien, die – auf einem musikalischen Kern basierend – die Möglichkeiten des Materials ausleuchten und erforschen. Die Autor:innen des Heftes nähern sich den Stücken aus unterschiedlichen Perspektiven: der von Musikpädagog:innen, Pianist:innen und Musiktheoretiker:innen; und sie erproben verschiedene Zugänge und Umgangsweisen: hörend, musizierend, analysierend, transformierend ...
Die luxemburgische Pianistin Cathy Krier, die 2021 eine fulminante Einspielung von Ligetis Klavieretüden veröffentlicht hat, eröffnet den thematischen Teil des Heftes. Ihr Beitrag bietet einen Überblick über die Entstehung sowie den konzeptionellen Aufbau des Zyklus. Am Beispiel von zwei Etüden (En Suspens, Der Zauberlehrling) zeigt sie, wie die Stücke ausgehend von der analytischen Betrachtung interpretatorisch erschlossen werden können und welche pianistischen Herausforderungen sie enthalten.
Der folgende Gemeinschaftsbeitrag widmet sich interdisziplinären und intermedialen Aspekten in Ligetis Etüden: Jan Kopp lotet Analogien zwischen der Etüde Touches bloquées und der informellen Malerei von Karl Otto Götz aus; Matthias Handschick transformiert die Etüde Vertige in eine grafische Notation, die den formalen Aufbau des Stückes sichtbar werden lässt und zugleich über eigenes ästhetisches Potenzial verfügt. Für beide Etüden werden inspirierende didaktische Perspektiven erläutert.
Gleich zwei Beiträge beschäftigen sich mit der Etüde Cordes à vides: Anne Hameister bietet eine umfassende Analyse des Stücks, in der sie den Reichtum der metaphorischen Bezüge entfaltet, ausgehend von den Adjektiven ,offen‘ und ,leer‘. Daran anschließend zeigt Oliver Krämer mögliche Wege für die pädagogische Arbeit mit dem Stück auf: durch das improvisatorische Spiel mit dem musikalischen Material, durch eine Annäherung an den Stimmungsgehalt über Metaphern und Texte, durch verschiedene Hör-Experimente.
Einen Einblick in die interpretatorische Arbeit am Klavier gibt das Gespräch, das Elisabeth Aigner-Monarth und Konstantin Semilakovs mit zwei Studierenden der Wiener Musikhochschule geführt haben. Am Beispiel der Etüde Fanfares wird deutlich, wie eng Fragen der technischen Umsetzung bei der Einstudierung mit analytischen und interpretatorischen Überlegungen verwoben sind.
Clemens Kühn widmet sich der Etüde Arc-en-ciel aus der Perspektive des Rezipienten: Die Einspielung der Pianistin Katia Buniatishvili regt ihn an zu überlegen, wie analytische Erkenntnisse erst durch das Hören an Tiefe gewinnen und wie die sinnliche Begegnung mit dem Stück neue Ebenen des Verstehens erschließt.
In seinem freien Beitrag fragt Linus Eusterbrock, welche Rolle unser Fach bei der Bewältigung der Klimakrise spielen kann – ein Thema, das aufgrund seiner Virulenz an Bedeutung gewinnen wird und zu dem bislang wenig musikpädagogische Literatur vorliegt. Der Autor erläutert am Beispiel von drei Aspekten konkrete Handlungsoptionen. Abschließend formuliert er zehn Desiderate an eine klimabewusste Musikpädagogik.
Nach dem Erscheinen des Heftes 96 erreichten uns Zuschriften von Daniela Bartels und Wilfried Gruhn, die auf Hans Christian Schmidt-Banses polemischen Text zur gegenwärtigen Situation des Musikunterrichts reagieren. Wo Positionen bezogen werden und Kritik geübt wird, entsteht eine lebendige Diskussion, passend zum Titel der Zeitschrift. Hans Christian Schmidt-Banse hat wiederum auf die beiden Zuschriften geantwortet. Alle drei Texte finden sich im Magazinteil des Heftes, der darüber hinaus etliche Rezensionen umfasst.

 

Rebekka Hüttmann, Oliver Krämer, Annette Ziegenmeyer

DMP 97: György Ligeti, Klavieretüden

Artikelnummer: DMP-Heft-97
13,40 €Preis
inkl. MwSt. |
  • György Ligeti, Klavieretüden

    • Cathy Krier
      Durch Analyse zum Spiel
      Eine Auseinandersetzung mit Ligetis Klavieretüden aus pianistischer Perspektive
    • Matthias Handschick & Jan Kopp
      Intermediales Denken als Weg zu Ligetis Klavieretüden
    • Anne Hameister
      Leer oder offen?
      Ligetis Étude 2: „Cordes à vide“
    • Oliver Krämer
      Kontextualisieren und Transformieren
      Gestaltungsspielräume bei der Annäherung an György Ligetis Klavieretüde „Cordes à vide“ (1985)
    • Elisabeth Aigner-Monarth & Konstantin Semilakovs
      György Ligeti, „Fanfares“ aus „Études pour piano – premier livre“ (1985)
      Ein Gespräch von vier Pianist:innen zu Interpretationsfragen und Herausforderungen
    • Clemens Kühn
      Verstehen durch eine Interpretation
      Khatia Buniatishvili und Ligetis fünfte Klavieretüde

    Freie Beiträge

    • Linus Eusterbrock
      Music Educators For Future
      Wie könnte eine klimabewusste Musikpädagogik aussehen?
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