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Liebe Leser:innen,

 

über das gesamte Jahr 2021 hinweg erreichten uns Anfragen für Beiträge, die sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit der Corona-Situation in den Schulen und Hochschulen beschäftigen. Wir haben daher entschieden, die noch immer andauernde Sondersituation, die durch die Corona-Pandemie entstanden ist, mit ihren gravierenden Auswirkungen auf den Musikunterricht und auf die musikpädagogische Hochschullehre zum Heftthema zu machen.
Nachdem es im Spätsommer zunächst noch so aussah, als kämen wir mit diesem Heft inhaltlich eigentlich schon zu spät, zeigt die aktuelle Lage, dass uns die Pandemie mit ihren Folgen für musikpädagogische Bildungsprozesse noch eine ganze Zeit lang beschäftigen wird. Während sich die Schulen wegen der ungeimpften Kinder und Jugendlichen frühzeitig auf einen weiteren ungewissen Winter einstellen mussten, verkündeten die Musikhochschulen und Universitäten zunächst vielfach die Rückkehr zur analogen Studienrealität. Dass der dahinterstehende Optimismus verfrüht war, zeigt sich jetzt nur wenige Wochen nach Semesterbeginn. Und wiederum wird deutlich, dass das Musizieren besonders vulnerabel ist. Erneut sind es musikpraktische Veranstaltungen, Chorproben, Orchesterprojekte und Konzertvorhaben, die als erstes zur Disposition stehen, wenn es darum geht, die Welle der Infektionen zu brechen. Was nach bald zwei Jahren erstaunt, ist die Tatsache, wie wenig wir gelernt haben, mit den Zahlen umzugehen. Wir haben keine wirkliche Vorstellung von der Dynamik exponentiellen Wachstums, sonst würden Entscheidungsträger nicht solange warten, bis es eigentlich schon zu spät ist.
Die Einschränkungen der vergangenen Monate und die Ungewissheit, wie es weitergeht, bleiben jedoch nicht ohne Auswirkungen auf die Menschen und die Stimmungslage der Gesellschaft. Wolfgang Mastnak schildert, gestützt auf eine Fülle internationaler Studien, welche psychopathologischen Folgen Kontaktbeschränkungen und Homeschooling für Kinder und Jugendliche haben können. Verena Seidl beschreibt, wie sich die Planung und Durchführung von Musikunterricht in Coronazeiten verändern, wenn die Förderung psychischer Gesundheit neben fachlichen Lernzielen zu einem wesentlichen Anliegen des Musikunterrichts wird.
Doch auch das gehört zur Wahrheit der vergangenen beiden Jahre: Neben Mutlosigkeit und Resignation angesichts drastischer Einschnitte in Schule und Kulturleben hat die Notsituation auch erfinderisch gemacht. Die Ausnahmesituation hat neue Ideen hervorgebracht, wie musikalisches Lehren und Lernen auf originelle Weise in den digitalen Raum übertragen werden kann, wie der Kontakt mit Lernenden in der Schule und mit Studierenden an den Hochschulen und Universitäten dennoch gelingt, selbst wie Konzertveranstaltungen, Feiern, Tagungen und Conference Dinners mit Hilfe von Livestreams und Videokonferenzen erfolgreich über die virtuelle Bühne gebracht werden können. Von solchen Ideen, wie musikalisches Lehren und Lernen in digitalen Formaten gelingen, berichten die Beiträge von Annika Endres und Jonas Völker, die sich mit Qualitätskriterien von Tutorials auseinandersetzen, und von Johannes Treß, der ein Online-Projekt schildert, bei dem Jugendliche zu Hause Videoclips mit Geräuschen aufnehmen und auf eine Website hochladen, wo sie interaktiv zu eigenen Soundscapes zusammengemischt werden können.
Eine weitere Kategorie von Beiträgen zeichnet auf der Basis von Befragungen ein empirisch fundiertes Bild der Entwicklungen und Folgen, die die Verschiebung ganzer Lernwelten in die Digitalität mit sich gebracht hat. Hierzu gehören neben dem Beitrag von Johannes Treß und Georg Brunner, der auf Interviews mit Musiklehrer:innen in der Schule aufbaut, auch die beiden Befragungen zur digitalen Hochschullehre von Andreas Bernhofer, Georg Brunner, Sabine Mommartz, Gabriele Schellberg und Ilona Weyrauch, die Erfahrungen von Hochschullehrenden aus Deutschland, Österreich und der Schweiz mit Online-Lehre während des ersten Lockdowns untersucht haben, sowie von Gerhard Sammer und Almut Gatz, die Studierende und Lehrende an den drei bayerischen Musikhochschulen u. a. zu ihrem Studienalltag im Homeoffice befragt haben. Auch der Beitrag von Andreas Bernhofer, Georg Brunner, Helen Hammerich, Oliver Krämer, Sabine Mommartz, Gabriele Schellberg und Ilona Weyrauch baut auf den Ergebnissen zweier empirischer Befragungen auf, die bei der Jahrestagung des Arbeitskreises für Musikpädagogische Forschung im September 2021 die Grundlage einer Zukunftswerkstatt bildeten. Einen vergleichenden Blick über Ländergrenzen hinweg wirft abschließend der Beitrag von Alexis Kivi, Dimitra Koniari, Sezen Özeke & Hatice Çeliktaş, der davon berichtet, wie Musiklehrende an Schulen in Deutschland, Griechenland und der Türkei die Coronasituation bewältigen. Dieser Beitrag ist die überarbeitete deutsche Fassung eines Artikels in der Online-Veröffentlichung von Michael Pabst-Krueger und Annette Ziegenmeyer, Perspectives for music education in schools after the pandemic. A joint publication by authors of the network of Music Teacher Associations in Europe, der hier direkt abrufbar ist.
Was jetzt schon feststeht: Die vergangenen beinahe zwei Jahre waren in musikpädagogischer Hinsicht ein unvorhersehbares Experimentierfeld. Offen hingegen ist die Frage an, was bleiben wird, welche Ideen und Entwicklungen langfristig Bestand haben. Wir haben es in der Hand, ob und wie wir die Erfahrungen der letzten Monate nutzen und die Potenziale digitaler Lehrformate in unsere Vorstellungen von musikalischem Lehren und Lernen integrieren. 

 

Rebekka Hüttmann, Oliver Krämer, Annette Ziegenmeyer

DMP 92: Corona

Artikelnummer: DMP-Heft-92
13,40 €Preis
inkl. MwSt. |
  • Nachruf

    • Anne Niessen & Christian Rolle & Jürgen Vogt
      Nachruf auf Hermann J. Kaiser

    Corona

    • Wolfgang Mastnak
      Psychopathologische Folgen der COVID-19-Ära
      Eine Herausforderung für die Musikpädagogik?
    • Verena Seidl
      Musikunterricht in Coronazeiten
    • Georg Brunner & Johannes Treß
      „Da ist so ein bisschen Aufbruchstimmung …“
      Einsichten zum Musikunterricht auf Distanz während der Corona-Pandemie
    • Annika Endres & Jonas Völker
      Warm-Ups 2.0
      Produktion von Tutorials als digitale Alternative zum Anleiten von Gruppen
    • Johannes Treß
      #Zusammenklang
      Reflexion über ein coronabedingtes Online-Klangflächenprojekt
    • Andreas Bernhofer & Georg Brunner & Helen Hammerich & Oliver Krämer & Sabine Mommartz & Gabriele Schellberg & Ilona Weyrauch
      Musik-Hochschullehre neu denken zwischen Digitalität und Präsenz
      Ergebnisse einer Zukunftswerkstatt
    • Georg Brunner & Gabriele Schellberg & Ilona Weyrauch & Andreas Bernhofer & Sabine Mommartz
      Musik(pädagogik) digital unterrichten an Universitäten
      Eine Studie zur Akzeptanz digitaler Hochschullehre  während der Pandemie im Vergleich zur Vor- und Nach-Corona-Zeit
    • Almut Gatz & Gerhard Sammer
      Digitales Lernen und Lehren
      Eine Studie zu Perspektiven von Studierenden und Lehrenden der bayerischen Musikhochschulen in der Corona-Krise
    • Hatice Çeliktaş & Alexis Kivi & Dimitra Koniari & Sezen Özeke
      Wie Musiklehrer:innen mit den Corona-Bedingungen im Musikunterricht umgehen
      Ein Vergleich der Situationen in Deutschland, Griechenland und der Türkei
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