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Liebe Leserinnen und Leser,

 

das Thema der letzten Ausgabe unserer und Ihrer Zeitschrift für dieses Jahr lautet „Promovieren in der Musikpädagogik“. Das Thema ist diesmal eine Idee von mir selbst. Entsprungen ist sie aus Ratlosigkeit und Unsicherheit. Mich beunruhigt zum Beispiel die Frage, ob die Musikpädagogik seit den mahnenden Schriften von Sigrid Abel-Struth ein Schisma erlebt habe oder sogar mehrere Zellteilungen: in eine angewandte und praktische und in eine – gegen die Praxis hermetisch verschlossene – wissenschaftliche Disziplin, als deren Stützpfeiler die Erziehungswissenschaft, die Psychologie, die Soziologie oder auch nur die hochstilisierte Wissenschaftssprache dienen. Diese Frage beunruhigt mich auch deshalb, weil – zufolge der von mir hochgeschätzten Formulierung von Jürgen Vogt – die sogenannten wissenschaftlichen Musikpädagogen weitere Metastasen erleiden: als „Schöngeister und Rechenknechte“. Und darüber hinaus gibt es quantitativ und qualitativ gesinnte Forscherinnen und Forscher; es gibt Adepten, die sich bestimmten Wissenschaftsmethoden verschrieben haben, die wiederum aus unterschiedlichen Philosophien geschlüpft sind ...
Außer diesen vielfachen Verzweigungen, die sich nicht als ganz ohne Bedeutung für Berufungserfolge und Stellenbesetzung erweisen, trifft man auch auf Überlegungen, wie Ost- und Westkirche voneinander Gewinn ziehen könnten oder sogar aufeinander angewiesen sind.
Bisweilen geraten didaktische Hochschulseminare in die Verlegenheit, auf die Auseinandersetzung mit Unterricht und mit Musik ganz zu verzichten. Mich beunruhigt schließlich auch die Frage, ob das Schulfach Musik vielleicht zu einer „wissenschaftliche(n) Musikpädagogik“ absinken könnte (manche Stellenbesetzung schürt einen solchen Verdacht).
Solche Altersgrübeleien mündeten in die Überlegung: Fragen wir doch die Jünger dieser Religionen – genauer: Wie sieht denn das Promovieren in der Musikpädagogik wirklich aus? Mit Unterstützung des Doktoranden-Netzwerkes (einer rühmenswerten Ergänzung des AMPF) gelang es, (zunächst) fast zwanzig Promovierende dafür zu gewinnen, ihr Projekt – als die Idee und ihr Vorgehen – in einem kurzen Bericht zu formulieren. Letztlich sind es immerhin noch 13 Beiträge, die sich in der vorliegenden Ausgabe als ein buntes Bild vom „Promovieren im Fach Musikpädagogik“ sehen (und lesen) lassen können.
Ich hatte das Vergnügen, am letzten Treffen des Doktoranden-Netzwerkes teilzunehmen. In vielen Einzelgesprächen zeigte sich, wie sehr sich die meisten Promo­tionsthemen aus persönlichen Interessen aus dem Studium und aus dem privaten Leben ergeben hatten; auch die Referate waren äußerst unterschiedlich angelegt: mal überwog die Sorge um die geforderte Wissenschaftlichkeit der Anlage, mal ergab sich die Behandlung des Themas aus praktischen Möglichkeiten; manche Überlegungen gingen von Fragen zur Musik aus, andere von Unterrichtssituationen oder aus der Absicht, den richtigen wissenschaftlichen Jargon zu treffen. Unangenehm berührte mich in manchen Projekten das Übergewicht welt- und praxisfremder abstrakter Theorien. Die vielen Gespräche setzten sich fort in vielen E-Mails, Telefonaten, Besuchen, und ich hoffe, dass sie auch in Zukunft den Prozess des Alterns retardieren.
Ich selbst spiele in dieser Zusammenstellung eine unangenehme Mehrfachrolle: als Schriftleiter und Musikpädagoge, ehemaliger Deutschlehrer und Hochschullehrer mit zum Teil sehr eigenen Anschauungen, als Kommajäger und Satzverkürzer, als Wissenschafts-sprachen-kritiker und als Mensch, der gerne helfen möchte. Diese Rollenfülle ernst nehmend verzichte ich auf jede Bewertung der mir zugesandten Texte. Ich teile die Texte so mit, wie sie hier angekommen sind.
Zum Glück finden sich unter den Beiträgen kaum rasch verblühende Orchideen und quietschende Oldtimer, sondern viele gute Ideen und längst fällige Themen. Vielfältig sind auch die Promotionswege und – zum Teil ganz anders geartet – ihre Beschreibungen, die in dieser Ausgabe versammelt sind (siehe das Inhaltsverzeichnis). Manche Beteiligten mussten erst lernen, dass Promotions- und Zeitschriftentexte verschiedenen Welten angehören und dass Zeitschriftenberichte sich weniger an Gleichgestrickte als an ein breites Publikum wenden.
Etwas Sorge machten die Sprachkünste mancher Autorinnen und Autoren – wahrscheinlich u. a. eine Folge der kümmerlichen Sprach- und Schreibübungen in den Schulen (vom weitgehenden Verzicht auf Satzzeichen oder einem Übermaß von ihnen zur Auswahl, die ja das Lesen und Verstehen begünstigen, ganz zu schweigen).
Zur Entscheidung, in einer unserer Ausgaben Promovierende zu Wort kommen zu lassen, kann ich mir nur gratulieren. Manche anfangs erwähnten Sorgen sind gelindert, viele neue Ideen zu Themen habe ich gewonnen, ich habe viele liebe Menschen kennen gelernt, und vor allem hoffe ich, dass in Zukunft viele Promotionen – als Bericht oder als ausführliche Beiträge – unsere Zeitschrift bereichern. Auf diese Weise kann die Zeitschrift ihr Motto gut verwirklichen. Ich danke allen Beteiligten ausdrücklich fürs Mit- und Mutmachen
Der Dank soll als Einladung verstanden werden!

 

Christoph Richter

DMP 72: Promovieren in der Musikpädagogik

Artikelnummer: DMP-Heft-72
13,40 €Preis
inkl. MwSt. |
  • Das Wort zum vierten Quartal

    • Christoph Richter
      Praktiker
      Die Vorstellung eines akademischen, künstlerischen und pädagogischen Berufs

    Promovieren in der Musikpädagogik

    • Daniela Bartels
      Musikpraxis und ein gutes Leben
      Ein Versuch, Verbindungen zwischen Musikpädagogik und Ethik sichtbar zu machen
    • Katja Brunsmann
      Auf dem Weg zur Promotion
      Meine Suche nach dem künstlerischen Kern des Musikunterrichts
    • Julia Behrens
      Berufsbiographische Entwicklung und Berufssituation von Orchestermusikern
      Eine empirische Untersuchung über Streicher
    • Lukas Bugiel
      Studien zu einer Theorie musikalischer Bildung durch Konzerte
    • Samuel Campos
      Risiken und Nebenwirkungen musikalischer Praxen
    • Verena Egler
      Von Stadiongesängen zur Eignungsprüfung
      Auf Themensuche für ein Promotionsprojekt
    • Claudia Maria Heuger
      Afrika im Musikunterricht
    • Julia Jung
      Gestimmte Räume
      Untersuchungen zur Gestaltung von Lernatmosphären im Unterricht
    • Peter Klose
      Rockmusiker sein
      Eine musikbezogene soziale Praxis und ihre Relation zur Schulmusik
    • Ute Konrad
      Über den Tellerrand blicken und dabei die eigene Suppe auslöffeln
      Promovieren in einem interdisziplinären Forschungsverbund
    • Silvia Müller
      Über welche Kompetenzen müssen Hochschuldozenten der Elementaren Musikpädagogik verfügen?
      Überfachliche Annäherung an ein Kompetenzprofil und die Notwendigkeit einer fachspezifischen Ausdifferenzierung
    • Anna Unger-Rudroff
    • Leibliches Lernen als Weg zu musikalischer Begriffsbildung
      Ein Promotionsprojekt mit dem Ziel, zwischen Leibphänomenologie und Musikverstehen eine Brücke zu schlagen
    • Christiane Viertel
      HipHop im Musikunterricht – Musikpräferenzen von Schülern im Unterrichtsalltag?!
      Eine empirische Untersuchung zum Schülerinteresse an HipHop in Baden-Württemberg und zur Einschätzung des Potenzials der Jugendkultur für den Musikunterricht in der Sek I aus Perspektive der Lehrer sowie aus Künstlersicht
    • Jonas Völker
      Interkulturalität im Musikunterricht
      Mein Weg der Promotion – Ein Erfahrungsbericht
    • Maria Zech
      Sind Opern- und Konzerthäuser Orte Kultureller Bildung?
      Ein Exkurs zum ambivalenten Verhältnis von Konzertpädagogik und Kultureller Bildung 
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