Liebe Leserinnen und Leser,
in den sieben thematischen Beiträgen dieser Ausgabe geht es um Überlegungen und Versuche, didaktische Anregungen aus der Musik zu gewinnen, das heißt: Anregungen für Ziele, für Umangsweisen, für die Unterrichtsanlage, für die Unterrichtsatmosphäre und die Inhaltlichkeit im Sinne dessen, worum es im Unterricht schließlich –häufig genug die Musik übersteigend – geht. Die Auswahl derer, die sich für das Thema zur Verfügung gestellt haben, verbürgen eine breite Palette sowohl der Denkansätze als auch der Werkauswahl.
Clemens Kühn steuert zum Thema dieses Heftes einen Beitrag bei, in dem Musik auf das Genaueste darauf hin befragt wird, wie sie spricht und was sie in ihrer Sprache sagt. Er wählt, um diesen Prozeß zu verdeutlichen, Kompositionen von Mozart. Es handelt sich um einen Beitrag, der darauf hinweist, welche musiktheoretischen Konsequenzen ein didaktischer Zugang haben kann, der von der Auseinandersetzung mit der Musik seinen Ausgang nimmt.
In meinem eigenen Beitrag versuche ich, zunächst mögliche Bedingungen und Probleme einer Didaktik zu erörtern, die von der Musik ausgeht. Dabei knüpfe ich an Gedanken von Hartmut von Hentig, Martin Wagenschein und Hellmut Seiffert an. Im zweiten Teil des Beitrags habe ich versucht, die zuvor entwickelten Gedanken auf die Beschäftigung mit dem zweiten Streichquartett von Sofia Gubaidulina anzuwenden.
Wolfgang Martin Stroh entwickelt das Pädagogische an „alla turca“- Musik von Mozart aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlichen Methoden. Aus der Aufklärung über die „alla-turca“-Musik und ihrer Deutung ergeben sich verschiedene Lerntätigkeiten, die das Verständnis dieser Musik freilegen und mehrere Möglichkeiten der Beziehung zu ihr anbieten. Der zentrale Gedanke dabei sind Angstverbreitung und Angstverarbeitung in Situationen von Bedrohung (realer oder gemachter). Verschiedene (methodische) Möglichkeiten „Erfahrungsgeleiteter Dekonstruktion“ legen die pädagogische Wirksamkeit und Anregung frei, die von der Musik ausgeht.
Was in Ludwig Striegels Beitrag von der Musik ausgeht und als Lernmöglichkeit freigesetzt wird, ist die Erfahrung von Virtuosität – in der Form eigenen Handelns und in der Form der musikalisch-verstehenden Beschäftigung. Unterstützt von Wilhelm Buschs Skizzen zum Klaviervirtuosen können die Gesten und das Gehabe des Virtuosen an Kurtags Hommage à Csajkowskij körperlich erlebt und als Verhalten erprobt werden, mit dem Ziel, die Virtuosität als Topos der Musik (vor allem) des 19. Jahrhunderts kennen und beurteilen zu lernen.
Rebekka Hüttmann hat in ihre Staatsexamensarbeit eine Übertragung und Anwendung der neuen ästhetischen Theorie von Gedrnot Böhme – die Theorie der Atmosphäre – durchgeführt. Ein Kapitel aus dieser Arbeit, jenes, in dem sie den Atmosphäre-Begriff von Böhme zum Leitgedanken in Debussys Komposition „Nuages“ macht, bietet sich als ein eindringliches Beispiel für einen didaktischen Zugriff an, der von der Musik ausgeht. Da das übliche Analysegeschirr bei eine solche Interpretation nicht ausreicht, geht die Autorin bei der Auseinandersetzung mit der Musik von allgemeinen Gestaltungsprinzipien aus, von Bewegung, Licht, Farbe und anderen.
Andreas Doerne und Oliver Krämer wenden Überlegungen, wie die Musik didaktische Angebote machen könne, auf einige Songs aus dem neuen Album von Madonna an.
An zwei Beispielen erläutert Marc Mönig einen Musikunterricht, der von der Beschäftigung mit der Musik didaktische Ratschläge bezieht, am Einleitungssatz aus Bachs Kantate „Ich hatte viel Bekümmernis, und am ersten Satz aus Schuberts großer C-Dur-Sinfonie. Er geht dabei in drei Schritten vor: Auf die Auseinandersetzung mit der Anmutung und dem Eindruck folgt das Bemühen, diesen Zugriff in analytischer Untersuchung zu fassen. Dies führt schließlich zu den Entscheidung (der Schüler) für eine bestimmte Weise der Aneignung. Marc Mönig greift auf Unterrichtserfahrungen zurück, um die Hauptthese oder Frage des Themenheftes zu prüfen.
In der Beitragsreihe „Aus Geschichte lernen?“ beschreibt und erörtert Karl Heinrich Ehrenforth, wie es um das Jahr 1970 herum zu jener neuen didaktischen Überlegung zum Umgang mit dem Kunstwerk gekommen ist, zum Konzept der „Didaktischen Interpretation von Musik“, als dessen Hauptgedanke das unabschließbare didalogische Verhältnis zwischen den Menschen und den Gegenständen, zwischen Schülern und Musik bestimmt wurde.
Christoph Richter
DMP 24: Didaktisches Denken und Handeln von der Musik aus
Didaktisches Denken und Handeln von der Musik aus
- Clemens Kühn
Was Musik zu sagen hat
Dankesgebinde für Ulrike - Christoph Richter
Didaktik von der Beschäftigung mit der Musik aus oder: Die pädagogische Dimension der Musik - Andreas Doerne & Oliver Krämer
Annäherung an aktuelle Popmusik am Beispiel von Madonnas Album „American Life“ - Wolfgang Martin Stroh
Die Dekonstruktion von „alla turca“ – Mozarts Musik nach dem 11. September 2001 - Ludwig Striegel
Virtuosität für Nichtvirtuosen?
Musikdidaktische Gedankenspiele zu György Kurtágs Hommage à Csajkovskij - Rebekka Hüttmann
Musik und Atmosphäre – Claude Debussy, „Nuages“ - Marc Mönig
Von Erquickung und Herrlichkeit, Bekümmernis und Gräberton
Musikdidaktik in anderen Ländern
- Estelle Jorgensen
Klassische Musik in Schule und Hochschule
übersetzt von Alexandra Kertz-Welzel
Serie: Aus Geschichte lernen
- Karl Heinrich Ehrenforth
Anmerkungen zum wissenschaftlichen und politischen Umfeld, in das die „Didaktische Interpretation von Musik“ hineingeboren wurde
- Clemens Kühn