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Liebe Leserinnen und Leser,

 

das Hauptthema dieser Ausgabe beschäftigt sich mit den Bedingungen und Problemen der zweiten Ausbildungsphase innerhalb der Musiklehrerausbildung und insbesondere mit der Frage, wie weit (und ob) didaktische Theorien und die Reflexion des eigenen Tuns in der Referendarzeit Bedeutung haben. Diese Zeit steht bekanntlich unter der Last vieler Unannehmlichkeiten, mancher Ängste und Schwierigkeiten. Zu ihnen gehören die zum Teil wenig hilfreiche Vorbereitung der Referendarzeit und der Berufstätigkeit in der Hochschulausbildung, die ungenügende Abstimmung zwischen den beiden Phasen der Ausbildung, falsche, aus der eigenen Sozialisation und dem Hochschulstudium genährte Erwartungen der Referendarinnen und Referendare, aber auch bedrückende Anpassungszwänge an die staatlich regulierten und zum Teil restriktiven Regeln in Schule und Unterricht.
Wir haben mehrere Fachseminarleiter darum gebeten, besonders die Frage der didaktischen Theorie zu erörtern, soweit sie in der Referendarzeit möglich und wichtig ist.
Uve Urban unterscheidet zwei Typen von theoretischer Beschäftigung der Referendare. Die eine, die den Versuch unternimmt, die Praxis auf die Grundlage von theoretischen Überlegungen und Konzepten zu stellen, führt nach seiner Erfahrung zumeist zu Enttäuschungen und zum Rückfall in eine schon aus der Schulzeit mitgebrachte Art des Unterrichtens. Die andere, die er „reflexives Erfahrungslernen“ nennt, geht von den Lehr-Erfahrungen aus  und führt über deren Reflexion zur Umsetzung neuer und veränderter Erfahrungen.
Werner Freitag konstatiert bzw. fordert einen Perspektivwechsel der Referendarausbildung. Er kritisiert eine zu schwach ausgeprägte pädagogische Kompetenz der Referendare. Er fordert eine striktere Ausrichtung des Studiums auf den Lehrerberuf, auf die Einsicht, dass es sich um einen Unterricht für musikalische Laien handle, und setzt sich für eine stärkere Betonung der „Elementaria“ des Faches ein. 
Norbert Heukäufer, der seine Argumentation auf schöne Weise aus Literaturbeispielen veranschaulicht, mahnt an, die zukünftigen Musiklehrer nicht, wie bisher, als „Fachleute“ für Musik auszubilden, sondern als Fachleute für Musikunterricht. Wichtig ist ihm insbesondere, dass Musiklehrer als Lehrerpersönlichkeiten in den Schulen wirken, und er fasst, den Roman „Schilten –  Schulbericht zuhanden der Inspektorenkonferenz“ zitierend, seine Forderungen an den Lehrer zusammen in dem Wunsch, die Selbstreflexion eines Lehrers möge bestimmt sein vom Streben nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe. 
Jürgen Rehm plädiert für die Ausbildung von Musiklehrern, die die Beschäftigung mit Fragen des Musikverstehens nicht dem Primat methodischer Überlegungen opfert.
Anne Niessen und Andreas Lehmann-Wermser beschäftigen sich mit der Frage, ob und in welchem Sinne die Tätigkeit von Referendaren von musikpädagogischen Konzeptionen beeinflusst wird. Um in dieser Frage zunächst theoretische Sicherheit zu gewinnen, stellen sie eine kleine Typologie solcher Konzeptionen vor und referieren die Meinung einiger Autoren zum Sinn und Gebrauch solcher Konzeptionen. Den Hauptteil des Beitrags bildet der ausführliche Bericht einer Referendarin über ihren Umgang mit didaktischer Literatur im Zusammenhang mit ihrem Unterricht.
Ich selbst unternehme in einigen Überlegungen den Versuch, Vorteile einer einphasigen Musiklehrerausbildung zusammenzustellen, die bedrängende Nachteile der jetzigen zweiphasigen Ausbildung lindern könnten.
Hans Jünger hat Schulbücher daraufhin untersucht, in welchem (didaktischen) Sinne Schulbücher von Lehrerinnen und Lehrern benutzt werden, d. h. als theoretische Grundlage des Unterrichts dienen.
Im zweiten Teil dieser Ausgabe veröffentlichen wir einen Beiträge zur Frage, welchen Gewinn der Unterricht und das Lernen aus den Einsichten der Gehirnforschung ziehen können. Winfried Pape stellt unter einigen speziellen Fragen den Stand der neurowissenschaftlichen Forschung zusammen. Er fragt nach den spezifischen musikpädagogischen Perspektiven dieser Forschung, nach der Repräsentation von Tönen im menschlichen Gehirn, nach den Bedingungen des Übens, Lernens und Musikmachens, nach der Abgrenzung von Bewusstsein und Unbewusstem, nach Emotion, Gefühl und Verstand. 
In der Serien „Alte und neue Bekanntschaften mit Musik“ macht Ulrich Mahlert mit György Kurtágs Klavierstück „Hommage à Farkas (2). Erinnerungsbrocken aus einer Kolindenweise“ bekannt. Er geht dabei von der Beschreibung des lauschenden Höreindrucks aus und gelangt zu einer minutiösen Detailbeschreibung der Komposition, die den ersten Eindruck mit Erkenntnis füllt und steigert.
Uns erreichte eine Zuschrift zum Thema der letzten Ausgabe: Wilfried Gruhn nimmt Bezug auf den Beitrag von Wolfgang Martin Stroh und erläutert noch einmal den Begriff „audiation“. 
Das Magazin bietet mehrere Rezensionen an: Christopher Wallbaum hat die umfangreiche Schrift von Josef Kloppenburg „Pädagogische Musik als ästhetisches Konzept“ durchgearbeitet. Ich selbst berichte über die Schrift aus dem Bosse-Verlag „Zur Frage der Berufsbezogenheit“, hg. von Frauke Hess (Musik im Diskurs, Bd. 18).

 

Christoph Richter

DMP 21: Die zweite Phase der Musiklehrerausbildung

Artikelnummer: DMP-Heft-21
13,40 €Preis
inkl. MwSt. |
  • Die zweite Phase der Musiklehrerausbildung

    • Uve Urban
      Lehren lernen
      Reflexives Erfahrungslernen im Referendariat
    • Werner Freitag
      Zum Perspektivwechsel in der Lehrerausbildung
    • Norbert Heukäufer
      Zwischen Fachmann und Lehrerpersönlichkeit

      Zur Problematik der (Musik-)Lehrerausbildung in der 2. Phase
    • Jürgen Rehm
      Musikalische Verstehenslehre oder Primat der Methodik?
    • Anne Niessen & Andreas Lehmann-Wermser
      Geschichten von Theorie und Praxis – Über die Verwandlungen musikdidaktischen Theoriewissens
    • Christoph Richter
      Unzeitgemäße Erwägungen eines einphasigen Musiklehrerstudiums
    • Hans Jünger
      Schulbuch – das trojanische Pferd
      Mediendidaktische Überlegungen zum Musikunterricht

    Gehirnforschung

    • Winfried Pape
      Musikalische Warnehmungs- und Lernprozesse
      Bemerkungen zu neurowissenschaftlichen Ergebnissen und Annahmen

    Musiklernen – Fortführung einer aktuellen Diskussion

    • Wilfried Gruhn
      Was ist „Audiation“? – Zur Rettung eines wissenschaftlichen Begriffs
      Zu W. M. Strohs Reaktion auf den Beitrag zum Musiklernen von J. Bär, S. Gies, W. Jank, O. Nimczik (DMP 19, 2003): „Musik lernen“ – ein taktisches Programm, das Fragen aufwirft“ (DMP 20, 2003)

    Alte und neue Bekanntschaften mit Musik

    • Ulrich Mahlert
      György Kurtág: Hommage à Farkas Ferenc (2) Erinnerungsbrocken aus einer Kolindenweise
      Annäherung an ein kleines Klavierstück
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