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Liebe Leser und Leserinnen,

 

die hier vorgelegte Ausgabe von „Diskussion Musikpädagogik“ ist Ergebnis einer langen Diskussion, die, da sie erst kurz vor der endgültigen Drucklegung wie ein ‚work in progress‘ immer wieder verändert und umgestellt wurde, mit ihren offenen Fragen und Fortführungen ins nächste Heft reichen wird. Von  verschiedenen Autoren vorangetrieben und angeregt, führte die Entwicklung des Heftthemas „Lernen – musikbezogenes Lernen“ schließlich zu einer Zusammenstellung von Beiträgen, die für eine Zeitschrift ungewöhnlich lang  sind und deren Anzahl dementsprechend anders ausfällt als üblich.
Die Entwicklung des Themas ist ein schönes Beispiel dafür, wie bei einer engen und regelmäßigen Zusammenarbeit zwischen Autorinnen/Autoren und Schriftleitung ein Diskurs beginnen und - als Angebot - eine Auseinandersetzung zwischen den Autoren und der Leserschaft anregen kann.
Begonnen hat die Geschichte dieser Ausgabe spätestens mit dem Beitrag „Zur Neukonzeption des Musikunterrichts in der allgemeinbildenden Schule“ der Kollegen Gies, W. Jank und Nimczik, der in Heft 9/2001 veröffentlicht ist. In ihm legten sie Überlegungen zum Aufbau und zur Zielsetzung des Musikunterrichts dar, die sie zuvor in einem gemeinsamen Referat in der AG Musikpädagogik der Musikhochschulen entwickelt hatten. Ihre Gedanken waren schon damals auf Weiterentwicklung und Praxiserprobung angelegt. Unter dem Titel „Kompetenz vermitteln – Kultur erschließen – Musik lernen in der Schule“ stellt die Autorengruppe, mittlerweile um den Kollegen Johannes Bähr zur ‚Viererbande‘ erweitert, nunmehr vor, was seitdem aus dem Anfangskonzept geworden ist. Die beiden anfänglichen Argumentationsstränge: „Hinweise zu einem (...) Konzept des Musiklernens“, das sich auf die neueren Ergebnisse der Lernforschung stützt, und „Forderungen, welche die kulturerschließenden (...) Bildungsansprüche anmelden“ (Editorial Heft 9/2003), werden im Folgeartikel weitergeführt. Dabei wirken sowohl schulpraktische Erprobungen wie auch eine Erörterung von Konsequenzen aus der PISA-Studie produktiv ein. Die leitende These aller Überlegungen lautet: „Die Einbindung musikalischer Praxis („Handlungserfahrung“) ist (...) konstitutiv für den Erfolg musikalischen Lernens.“
Drei umfangreiche Kapitel umschreiben den ‚Jetzt-Stand‘ der Überlegungen: Das erste bildet einen „theoretischen Rahmen“, der um den Kompetenzbegriff herum gebaut ist und der diesen Begriff schließlich zu „Kompetenzerwerb“ zuspitzt; das zweite ist überschrieben mit „Musikalische Teilkompetenzen vermitteln“ (einschließlich: „Musikalisches Gestalten und musikbezogenes Handeln“). Es verdeutlicht auf der Grundlage entwicklungs- und lernpsychologischer Faktoren einen Kompetenzaufbau in verschiedenen musikalischen Teilbereichen. Das dritte Kapitel – „Kultur erschließen“ – entfaltet diesen im früheren Beitrag noch eher vage und mehr als Forderung benannten Zielbereich konkret, und zwar fünffach: in seinen materialen, historischen, funktionalen, ästhetischen, subjektiven Dimensionen. Am Unterrichtsthema mit dem Titel „Shanty“ werden die einzelnen Schritte der Erörterung exemplifiziert.
In voller Absicht haben wir dem Beitrag der vier Autoren einen Text vorangestellt, der die musikpädagogischen Überlegungen von der Seite der Lernforschung auf ein Fundament zu stellen vermag. Ohne Übertreibung kann Maria B. Spychigers Beitrag „Lernforschung  – Ein Blick in ihre Grundlagen und Anwendungen im Wechsel der psychologischen Paradigmen“ als ein Glücksfall bezeichnet werden. Die Anregung zu diesem Thema – und vor allem zu seiner Autorin - kam von Werner Jank, als wir, vom Nutzen und der Notwendigkeit eines solchen Fundaments überzeugt, nach einem Text ‚von außen‘ suchten. Die ungewöhnliche Länge des Beitrags scheint mir vielfach gerechtfertigt, weil er nicht nur eine überzeugende Bestärkung für die Argumentation der Vierergruppe liefert, sondern darüber hinaus –  das mag für Studierende, Referendarinnen und Referendare möglicherweise noch willkommener sein - eine kurzgefasste Einführung in die allgemeine Lernforschung anbietet. Die Einführung besticht durch drei Momente: Sie bindet die historisch und systematisch erläuterten Bereiche der Lernforschung zusammen: Sie kann der Leser am Leitfaden des Schicksals von Caspar Hauser verfolgen. Sie ist in einer einfachen, ausgesprochen anschaulichen Sprache gehalten, welche zudem eine spannende Art der Darstellung erreicht; und sie zeigt im Gang durch die Forschungsansätze immer wieder die grundlegenden Probleme des menschlichen Lernens und Verhaltens auf.
Maria B. Spychigers Aufsatz ist ein Text, mit dessen Hilfe sich die werdenden und die im Beruf befindlichen Musikpädagogen auf eindrückliche und zugleich leichte Weise darüber informieren können, was Lernen heißt oder wie Lernen verstanden werden kann. Dieses Angebot rechtfertigt gewiss seine Länge.
Mit dem für den Beitrag der Vierergruppe zentralen Begriff der „Kompetenz“ setzt sich Henning Scharf grundlegend und ausführlich auseinander (wie schon Hermann J. Kaiser in „Musik und Bildung“, Heft 3/2001). Aus der Kritik an diesem Begriff, dem nach Scharf der Komplementärbegriff „Performanz“ vorzuziehen ist, entwickelt er –  aus „konstruktivistischer“ Sicht – Lernvorstellungen, die unter dem Titel „Autopoiese und selbstbestimmtes Lernen“ entfaltet werden. Seiner Länge und seines Gewichts wegen haben wir diesen Beitrag in zwei selbständige Texte geteilt. Den zweiten Teil drucken wir in der nächsten Ausgabe ab unter dem Titel „Vermittlung oder Erwerb musikalischer Kompetenzen? Anmerkungen aus konstruktivistischer Perspektive“.
Eine enge Beziehung zur Heftthematik weist David J. Elliotts Konzept einer „praxial philosophy“ der Musikpädagogik auf. Für unsere Zeitschrift erläutert Elliott diese auf begründendes Handeln gestellte Auseinandersetzung mit Musik in einem Text, der als eine Zusammenfassung seines Buches „Music Matter: A new Philosophy of Music Education“ gelten kann (das Buch hat Jürgen Vogt in „Musik und Bildung“, Heft 3/1999 rezensiert).
Im Magazin stellt Christian Zimmermann Probleme der Musikpädagogik für Lernbehinderte dar – ein Thema, das, wie er zu Recht moniert, in unserer Zeitschrift bisher vernachlässigt wurde.

 

Christoph Richter

DMP 19: Lernforschung – Musikalisches Lernen

Artikelnummer: DMP-Heft-19
13,40 €Preis
inkl. MwSt. |
  • Lernpsychologie

    • Maria B. Spychiger
      Lernforschung
      Ein Blick in ihre Grundlagen und Anwendungen im Wechsel der psychologischen Paradigmen

    Musiklernen

    • Johannes Bähr & Stefan Gies & Werner Jank & Ortwin Nimczik
      Kompetenz vermitteln – Kultur erschließen
      Musiklernen in der Schule
    • Wulf Dieter Lugert
      „Musiklernen“ – Ein neues Konzept?
    • Henning Scharf
      Der Kompetenzbegriff in musikpädagogischen Kontexten
      Teil I

    Musikpädagogik in anderen Ländern

    • David J. Elliott
      Music Education in the 21st Century
      Why? What? And How?
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