Liebe Leserinnen und Leser,
der Plan, wieder einmal ein Themenheft zur Musiklehrerausbildung in der zweiten Ausbildungsphase zusammen zu stellen, entstand aus der Neugier darüber, ob und wie sich die Studienreform und die BA und MA-Abschlüsse auf die Gestaltung der Referendarzeit auswirken.
Ich erwartete, das die Straffung bis hin zur Verschulung des Studiums, das Baukastenprinzip der Module, der Ruf nach Interdisziplinarität und die strikten Überprüfungs- und Prüfungsmodalitäten Folgen für die mehr praktische Ausbildung und für die Einweisung in den Lehrerberuf haben müsse.
Meine Versuche, Beiträge für diese Fragen aus möglichst vielen Bundesländern zu bekommen, verliefen zum Teil enttäuschend, weil einige Länder sich an meiner Umfrage gar nicht beteiligten. Vielleicht habe ich mich nicht bis zu den richtigen Adressen durchgefragt. Andere Länder konnten meine Neugier nicht stillen, weil in ihnen das BA-, MA-System bisher nicht eingeführt ist, absichtlich auf die lange Bank geschoben wird oder weil die Studienreform keine Folgen für die inhaltliche und organisatorische Ausrichtung der Referendarzeit habe. Vielmehr regeln die Schul- und Hochschulpolitiker das Reformmanagement mancher Bundesländer aus anderen Motiven und nicht als Konsequenzen aus den Bologna-Beschlüssen, nämlich um dem Lehrermangel abzuhelfen oder aus Argwohn gegenüber den Hochschul-Lehrerausbildung.
Es blieben die hier veröffentlichen Beiträge aus Bayern, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Sie nebeneinander zu stellen, scheint mir gleichwohl wichtig genug, um in vergleichende Überlegungen einzutreten. Die Berichte zeugen vom Vertrauen in eine bewährte, gut aufgebaute und organisierte Ausbildung in Bayern, die beinahe schon in individuelles Coaching übergeht und dabei die Gefahr in Kauf nimmt, eine allzu enge Bindung der Referendarinnen und Referendare an ihre Ausbilder zu stiften. Das Extrem auf der anderen Seite zeigt die Tendenz der Referendarreform in Nordrhein-Westfalen zu einem einphasigen Studium, zumindesten im Bereich der Praktika und der Fachdidaktik. Die beiden Berichte aus Hessen, der eine mehr kritisch, der anderen mehr zustimmend, verweisen darauf, dass eine modularisierte Organisation die Ausbildung eher zerstückelt und nicht flexibel auf individuelle Notwendigkeiten Lehrertypen reagiert, anstatt das zu bewirken, was durch sie gerade erreicht werden soll - die Einheit und die Zusammengehörigkeit der Aspekte des Lehrens und Lernens.
Die kritische Stelle im Verhältnis zwischen der ersten und der zweiten Ausbildungsphase ist nach wie vor die Fachdidaktik in Studiums und Referendarzeit. Es scheint, als ob die Chancen, die empfindliche Verknüpfung der beiden in den Beruf hineinreichenden Ausbildungsteile zu überdenken, wieder einmal verschenkt werden – aus Eitelkeit oder künstlich hoch stilisierten Selbstbewusstsein, aus Furcht vor Einfluss-Verlust oder gegenseitigem Misstrauen. Aus der Sicht der Schule (der zweiten Ausbildungsphase) äußert sich diese Haltung im Vorwurf, die Fachdidaktik an der Hochschule sei zu theoretisch und nehme die Wirklichkeit der Schule nicht zur Kenntnis; die universitäre Fachdidaktik hält mit dem Kontrapunkt dagegen, die Referendarausbildung begnüge sich mit methodischem know-how und betreibe die Anpassung an das verwaltete Schulsystem und die dazugehörige Abrichtung angepasster Lehrer.
Gelöst werden können solche Vorwürfe und Vorurteile nur durch Zusammenarbeit – durch eine gegenseitig aufeinander bezogene Einheit von praktischem Unterricht und seiner Reflexion mit Hilfe eine konzeptionell offenen wissenschaftlichen Fachdidaktik; durch die enge Zusammenarbeit der Fachdidaktiker an den Ausbildungsseminaren und den Hochschulen, eine Zusammenarbeit, die getragen ist von gegenseitigem Vertrauen, vom Bemühen, Handeln und Reflexion in gegenseitige Abhängigkeit zu bringen – mit dem Ziel, eigenständig denkende und handelnde Lehrerinnen und Lehrer für die wichtige Aufgabe der schulischen Bildung zu gewinnen. Ich befürchte, dass meine Hoffnung trügt, die anstehenden Reformen der Lehrerausbildung könnten Schneisen in die Widersprüche schlagen – Widersprüche, unter denen die jungen Lehrer ja am meisten leiden und die ihnen am wenigsten Freiheiten gewähren. Wie schön wäre es, wenn es an Schulen wieder mehr Originale gäbe, hilfreich für den Umgang mit Menschen und für den Umgang mit den Sachen!
Christoph Richter
DMP 42: Konsequenzen für zweite Ausbildungsphase nach der Hochschulreform
Das Wort zum zweiten Quartal
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Wider den Konformismus des „Unzeitgemäßen“
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Offner Brief
Zu Clemens Kühn: „Musik als Kunst – Unzeitgemäße Thesen zu einem zeitgemäßen Musikunterricht“
DMP 41 (1. Quartal 2009) - Zuschrift von Christoph Richter
Musikunterricht am Scheideweg
Kompetenzlernen oder verstehende Auseinandersetzung mit Musik
Konsequenzen für die zweite Ausbildungsphase nach der Hochschulreform
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Die modularisierte Ausbildung in der 2. Phase und ihre Auswirkungen auf die Arbeit in den Musikseminaren
Standortbericht am Beispiel Hessen - Norbert Heukäufer
Das Modulsystem für die 2. Phase der gymnasialenLehrerausbildung in Hessen - Marc Mönig
Im Reformzug von Bologna nach Düsseldorf
Anmerkungen zur zukünftigen Lehramtsausbildung in NRW - Mirjam Boggasch
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Vorbereitungsdienst Musik in Bayern - Christiane Liermann & Katharina Meyer & Andreas Lehmann-Wermser
Neuer Impuls oder verstärkter Druck?
Einfluss des Zentralabiturs auf die Anforderungen an Musiklehrerinnen und Musiklehrer - Ralf Beiderwieden
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